Jalta: Rendezvous mit der Dame
Belebt war sie immer, die Hafenpromenade von Jalta, und belebt ist sie noch. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind es nun nicht mehr Parteibonzen oder "verdiente Werktätige", die hier im milden Klima der Krim eine Auszeit vom russischen Winter nehmen – jetzt flanieren Touristen aus aller Welt am Kai und genießen den Blick über eine der schönsten Buchten der Welt, zwischen grünen Hängen und schneeweißem Sand. Manche drängen zu den Bussen, die ganze Karawanen nach Liwadija transportieren, der Sommerresidenz des letzten Zaren, der in diesem Märchenschloß nur ein einziges Mal Ferien machte, ehe die Revolution ihn vom Thron und in ein elendes sibirisches Grab fegte. An seiner Stelle nahm im Februar 1945 die Weltpolitik Besitz von den schneeweißen Mauern: Churchill, Roosevelt und Stalin berieten hier die neuen Grenzen im Nachkriegseuropa; der Konferenztisch von damals ist ein Publikumsmagnet von heute.
Andere zieht es an den feinsandigen Strand, und wieder andere posieren für Fotografen mit den vielen theatralischen Requisiten, die nur zu diesem Zweck über Hunderte von Metern zu einer bombastischen Kulisse aufgebaut worden sind: Barocke Sessel, Samtportieren, Rokokosofas, schwere Motorräder – zu allem gibt es fürs Erinnerungsfoto auch das passende Kostüm, und wer will, darf sogar einen lebendigen Raubvogel auf die Faust nehmen. Und kneift man in all dem heiteren Schlendern nur ein wenig die Augen zusammen, sodaß die modernen Bauten am Berghang mit den alten Villen in eins verschwimmen, dann sieht man vielleicht in einiger Entfernung eine zarte Gestalt in der Menge verschwinden – Anton Tschechows berühmte "Dame mit dem Hündchen", hier kann man ihr begegnen. Auch ihren Schöpfer kann man besuchen. Nur eine kurze Fahrt mit Bus oder Taxi, und man steht vor der "weißen Datscha", jenem Haus, das der Dichter sich 1899 bauen ließ, über der Stadt damals, mit dem weiten Blick zu den Bergen und über das fast immer blaue Meer. Den Garten am Hang mit den üppigen Bäumen und Büschen hat er selbst angelegt, die verschlungenen Wege geplant und
Im Haus führen freundliche Frauen mit faltigen weichen Gesichtern, mit verwischtem Lidstrich um immer noch riesige Augen den Besucher durch die Zimmer, jede Herrin über ihr Stockwerk. Stolz und mit großer Liebe werden die Dinge gezeigt, die er noch benutzt hat, der Schaukelstuhl in der Veranda, sein Mantel im Schrank – ein hochgewachsener Mann ist er gewesen, dieser Tschechow! – die Fotos an den Wänden, mit Freunden, mit Mutter und Schwester, die hier mit ihm lebten, mit einem seiner Rosenbüsche - und den erkennt der Besucher wieder, er wächst draußen am Fenster, der Stamm ist zum Baum geworden, aber er blüht noch immer. Gezeigt wird auch das schmale Bett, wo der Autor nächtliche Hustenattacken und manchen Blutsturz durchlitt. Seine Tuberkulose hatte ihn aus Moskau in den Süden verbannt; sehnsüchtige Briefe schrieb er aus dem paradiesischen Ort in die Hauptstadt. Denn seine Frau, die Schauspielerin Olga Knipper, war dort geblieben. Nur besuchsweise kam sie nach Jalta; ihr in leuchtendem Rot gehaltenes Zimmer mutet wie ein Gästezimmer an und liegt im Erdgeschoss - der Schlafraum des Dichters jedoch im oberen Stockwerk, neben dem Arbeitszimmer. Auf dem großen Schreibtisch liegt noch sein Stethoskop: Zu geschwächt, um in seinem Beruf als Arzt
© Dorothea Renckhoff - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2007
...und zur Person unserer Autorin Dorothea Renckhoff: Veröffentlichungen: Übersetzung von mehr als zwanzig Theaterstücken u. Fernsehspielen (u. a. von Eduardo de Filippo, Alan Ayckbourn, Stephen Poliakoff, Brian Phelan, Ben Travers, Wallace Shawn, Serge Kribus u. v. a.) für diverse Theaterverlage (Gerhard Pegler, Gustav Kiepenheuer, Felix Bloch Erben, Rowohlt u. a.), die erfolgreichste (Shakespeare’s Sämtliche Werke – leicht gekürzt) wurde an weit über fünfzig deutschsprachigen Theatern gespielt Fernsehbearbeitungen: Otto der Treue (WDR 1976), Der müde Theodor (WDR 1977), Der doppelte Moritz (WDR 1977), Das Schloßgespenst (WDR 1980) Kulturjournalistische Arbeiten Bücher: |